Jeder Text ist Kind seiner Zeit. Wie die damalige Kultur Bibeltexte beeinflussen konnte, in: Dem Wort Gottes auf der Spur. 21 Methoden der Bibelauslegung. Hg. U. Wendel. Witten: SCM, 2015, 118-126
(Fazit:) „Das ethische Prinzip, das Paulus in 1 Kor 11,5-6 mit aller Kraft verteidigt hat, bleibt zeitlos gültig und ist heute mindestens so wichtig wie vor 2000 Jahren: Christen müssen in aller Eindeutigkeit für die Unverletzlichkeit der Ehe einstehen. Aber die Formen und Zeichen, mit denen sie dies tun, wandeln sich. Würden wir den Apostel ins 21. Jahrhundert beamen und fragen, ob er findet, dass das weibliche Kopftuch ein geeignetes Mittel ist, um sein Anliegen zu transportieren – er würde bestimmt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und er würde uns sicher dazu auffordern, unsere unaufgebbaren christlichen Grundüberzeugungen nicht in einer überholten Zeichensprache, sondern kultur- und zeitgemäß zu vermitteln. Außerdem würde Paulus uns wohl daran erinnern, dass wir es so ja ganz zu Recht auch mit anderen neutestamentlichen Anweisungen halten: einander mit dem „heiligen Kuss“ zu grüßen (1 Kor 16,20 u. ö.), auf aufwendige Frisuren, teure Kleider und wertvollen Schmuck zu verzichten (1 Petr 3,3 u. ö.) oder beim Beten die Hände zu erheben (1 Tim 2,8). In allen diesen Fällen hilft die Kontextualisierung, den Sinn einer biblischen Anweisung auch unter veränderten Bedingungen, wenn die kulturelle Form nicht mehr passt, zu verstehen und zu befolgen“.