In der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz Deutschland (2018) heißt es: „Die Bibel … ist von Gottes Geist eingegeben, zuverlässig und höchste Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung“. Um herauszufinden, wie es ist, wenn man sich genau an die Bibel hält, unternahm der US-amerikanische Journalist A. J. Jacobs (geb. 1968) ein interessantes Experiment. Darüber hat er ein Buch geschrieben, das auch ins Deutsche übersetzt worden ist: „Die Bibel & Ich. Von einem, der auszog, das Buch der Bücher wörtlich zu nehmen“. Jacobs hielt sich ein Jahr lang so streng wie möglich an die über 700 Regeln, die er in der Bibel gefunden hatte. Vier Monate widmete er dem Neuen und acht Monate dem Alten Testament. In seiner alttestamentlichen Phase spendete er (nicht zehn, aber) zwei Prozent seines Einkommens (Lev 27,30). An den Samstagen erledigte er keinerlei Arbeit (Ex 20,8), sondern überließ sie seiner Frau. Und an Gesetzesbrechern vollzog er (symbolische) Steinigungen (Lev 20,27). Dieser Erfahrungsbericht zeigt, wie eigenartig es wäre, das Gesetz des Mose als Handbuch für die christliche Ethik zu verwenden. Christen, die sich daran halten würden, hätten ein außerordentlich schweres Leben (und würden sich außerdem lächerlich machen) …
Allgemein
Wie viele der drei Pastoralbriefe hat Paulus geschrieben?
(Besprechung von) J. Herzer, Die Pastoralbriefe und das Vermächtnis des Paulus. Studien zu den Briefen an Timotheus und Titus, Hg. Jan Quenstedt (WUNT 476), Tübingen: Mohr Siebeck, 2022, in: AfeT Rezensionen (22. Okt. 2022):
Seit Jens Herzer, Professor für Neues Testament an der Universität Leipzig, vor etwa 20 Jahren begonnen hat, sich intensiver mit den Pastoralbriefen zu befassen, widerspricht er mit gleichbleibender Konsequenz der in der deutschen und internationalen Fachwelt etablierten Mehrheitsmeinung, diese drei Briefe könnten nicht von Paulus verfasst worden sein. Unter Verweis auf die „Third Quest“ in der Jesusforschung und die „New Perspective“ in der Paulusforschung plädiert er dafür, auch im Blick auf die Pastoralbriefe einen Paradigmenwechsel zu vollziehen (62). Offensichtlich teilt er die von ihm zitierte Überzeugung des amerikanischen Neutestamentlers Luke Timothy Johnsons, es gebe in der neutestamentlichen Echtheitskritik eine „große und rätselhafte Kluft zwischen der massiven sozialen Realität des derzeitigen wissenschaftlichen Konsenses und der Qualität der Methoden und Argumente, mit denen er vermeintlich gestützt wird“ (23). H.s von der Mehrheitsmeinung unabhängige Arbeit an den Pastoralbriefen hat ihn zu drei markanten Überzeugungen geführt … (download)
Können Frauen durch Kindergebären gerettet werden?
Ein FTH Podcast
Es gibt Texte der Bibel, mit denen wir als heutige Leser, die nicht in der antiken Welt der Bibel gelebt haben, wenig anfangen können. Und ein solcher Text ist mit Sicherheit der Vers aus 1.Tim 2,15, wo der Apostel Paulus schreibt, „dass Frauen durch das Kindergebären gerettet werden.“ Was hat es mit dieser Aussage auf sich und wie kann sie auf dem Hintergrund der Antike interpretiert werden?
Salvation by Childbearing in the Context of Ancient Arguments against Sexual Intercourse, Pregnancy and Child-rearing (1 Tim 2:15)
Saving Wealthy Ephesian Women from a Self-Centered Way of Life (1 Tim 2:15): Salvation by Childbearing in the Context of Ancient Arguments against Sexual Intercourse, Pregnancy and Child-rearing, in: Troubling Texts in the New Testament, Hg. M. Klinker-De Klerck u.a. (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 113), Leuven: Peeters, 2022, 257-283:
„As far as I am concerned, one of the most troubling texts in the New Testament is 1 Tim 2:15: ‚She (i.e., the woman) will be saved through childbearing …‘ … Many Bible readers regard Paul’s statement in 1 Tim 2:15 as very unfair in several respects. First, what about women who live as singles, voluntarily or involuntarily? What about married women who cannot have children for medical reasons? Further, why did Paul admonish just women to have children and not also men? Why did he lose sight of gender equality? And finally, is this passage not irreconcilable with passages such as Gal 3:28, where Paul advocated the soteriological equality of the sexes, and with 1 Cor 7:8, where Paul encouraged unmarried women and widows to remain single? I suspect that because of these issues most Christians and Christian churches find it difficult to do anything constructive with this troubling passage of Scripture and simply ignore it.
One of the harshest scholarly verdicts on 1 Tim 2:15 was pronounced by Annette Merz. She believes that according to this passage ‚women are reduced to the status of uteri‘. For women, ‚the consummation of a marriage becomes in and of itself a redemptive act‘. Therefore, ‚the husband becomes the redeemer of his wife. Christ attains his eschatological goal for women only by means of the husband’s expropriation of his wife’s body‘. Consequently, 1 Tim 2:15 ‚constitutes nothing less than the annulment of the soteriological equality of the sexes‘ by preaching ‚a unique way of salvation for women that disqualifies them as a matter of principle from an ascetic way of life‘.It is obvious that Merz emphatically disapproves of such an unfair view of women. And her sense of revulsion against these views is quite comprehensible …“
La méthode historico-critique en recherche biblique
La méthode historico-critique en recherche biblique: son histoire, son potentiel, ses limites, in: Lire la Bible aujourd’hui. Perspectives croisées sur les défis contemporains, Hg. L. Jaeger, Paris: Société Biblique Française – Bibli’O, 2022, 293-325:
„L’expression « méthode historico-critique » est ambiguë. Elle ne recouvre pas une mais (au moins) deux méthodes d’analyse d’un texte donné. Je commencerai donc par examiner cette terminologie qui peut prêter à confusion. Dans la plupart des livres les plus influents sur la méthodologie du Nouveau Testament, on accorde en général plus de place à la méthode exégétique qu’à la méthode historique. C’est pourquoi j’examinerai non seulement la méthode exégétique mais aussi la méthode historique Bien évidemment, je soulignerai leurs forces et j’indiquerai aussi leurs limites. S’agissant de ces deux méthodes la question surgit : quelle différence cela fait-il si les exégètes et les historiens interprètent les textes bibliques d’un point de vue chrétien croyant ? Cette dimension pneumatique ou spirituelle de la recherche biblique est souvent absente des ouvrages sur la méthode du Nouveau Testament. J’aborderai cette question à propos de l’interprétation exégétique et historique du Nouveau Testament. Pour finir, je considèrerai la relation entre la méthode historico-critique et la critique a priori du miraculeux. Quelle est la différence principale entre une approche dogmatique ou absolue et une approche ouverte à l’égard des éléments surnaturels dans les textes bibliques1? …“
Mythos Ostern: Sagenhafte Legende oder wahre Hoffnung?
Zählen die Osterereignisse zu den zahlreichen religiösen Mythen, die die Kulturen der Welt zu bieten haben? Oder kann man den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus tatsächlich als historische Ereignisse werten? Inwiefern bedeutet Ostern Hoffnung für uns und unseren Planeten? Zu diesen Fragen sind Univ.-Prof. Dr. Markus Öhler und Prof. Dr. Armin Baum miteinander im Gespräch.
Univ.-Prof. Dr. Markus Öhler ist Professor und Institutsvorstand am Institut für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören antike Religionsgeschichte, die Geschichte und Sozialgeschichte des frühen Christentums, Epigraphik, Paulus und der Römerbrief.
Dr. Armin D. Baum ist Professor für Neues Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen, sowie Leiter der Abteilung Neues Testament und Prorektor für Forschung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die antike und frühchristliche Geschichtsschreibung und Pseudepigraphie, interdisziplinäre Ansätze zur synoptischen Frage, neutestamentliche Hermeneutik, Männer- und Frauenrollen in der Antike und im Neuen Testament sowie Papias von Hierapolis.
Ostern ist die tiefere Antwort auf die Pandemie
Über die Auferstehungsbotschaft in der Corona-Krise im diesseitsfixierten
Europa, in: IDEA 15/2022, 16-19
Der historische Wahrheitsanspruch des Neuen Testaments: Haben die neutestamentlichen Erzähler zwischen Fiktion und historischer Wahrheit unterschieden?
Das Thema geht für mich biografisch zurück bis in meine Schulzeit. Im Religionsunterricht am Gymnasium hatte ich als junger und ziemlich unerfahrener Christ den Wunsch, dass wir auch mal im Neuen Testament lesen sollten, vor allem in den Evangelien. Ich habe das immer mal wieder vorgeschlagen. Aber mein Religionslehrer war zwar friedensbewegte und so weiter, aber kein großer Bibelleser. Er hat damals argumentiert, in den Evangelien etwas über Jesus von Nazareth nachzulesen, habe gar keinen Sinn. Denn die Autoren des Neuen Testaments hätten einen ganz anderen Wahrheitsbegriff gehabt als wir heute. Im Unterschied zu uns konnten sie nicht zwischen historischer Wahrheit und frei erfundener Fiktion unterscheiden. Darum dürften wir nicht in der Erwartung an diese biblischen Texte herangehen, darin etwas Belastbares über Jesus von Nazareth zu erfahren. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir im Religionsunterricht dann auch nie gemeinsam im Neuen Testament gelesen. Mich hat diese Frage nach dem Wahrheitsbegriff aber weiter beschäftigt und ich habe mich gefragt: Kann das sein, dass die Leute vor 2000 Jahren viel unklarer gedacht haben als wir heute? …
Interview bei offen.bar
Im Gespräch mit Prof. Dr. Armin Baum stellt Sarah Gräßlin Fragen zur Historizität von Bibelbüchern und dem persönlichen Stellenwert der Bibel; sie bittet um hilfreiche Tools, wie die Bibelbücher am Besten einzuordnen sind.
Kannte Paulus das Konzept einer homosexuellen Orientierung?
(Besprechung von) W. R. G. Loader, Sexuality and Gender. Collected Essays (WUNT 458), Tübingen: Mohr Siebeck, 2021, in: Theologische Literaturzeitung 147 ( 2022) 211-214:
William Loader ist der Überzeugung, dass Paulus jegliche Form homosexuellen Verlangens und Verkehrs abgelehnt hat: Im frühen Judentum wurde homosexuelles Verhalten ausnahmslos abgelehnt. Loader zieht u.a. Philo heran, der nicht nur die Päderastie, sondern auch den einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Verkehr Erwachsener verurteilte. Philo kannte zwar den in Platos „Gastmahl“ von Aristophanes vorgetragenen Mythos vom Kugelmenschen, der zwischen von Natur aus heterosexuellen und von Natur aus homosexuellen Menschen unterschied; dennoch lehnte er unter Berufung auf die biblischen Schöpfungserzählungen jedes homosexuelle Verhalten ab. Loader hält es für wahrscheinlich, dass auch Paulus die (nicht nur) bei Plato nachweisbare Unterscheidung zwischen verschiedenen sexuellen Orientierungen bekannt war; weil Paulus sich an einer göttlichen Schöpfungsordnung orientierte, habe er jedoch wie Philo auch den homosexuellen Geschlechtsverkehr homosexuell orientierter Partner abgelehnt. Paulus habe sein negatives Urteil auch nicht auf homosexuellen Verkehr mit Minderjährigen oder Slaven beschränkt …